In unserer schnelllebigen, sich ständig ändernden Gesellschaft muss jede/r von uns ständige Anpassungsleistungen vollbringen. Auch Erziehung ist diesem ständigen Wandel unterworfen. Verzweifelten Sie nicht auch schon auf der Suche nach der „richtigen“ Erziehungsmethode im Dschungel der vielfältigen Erziehungsratgeber? Umso mehr sind wir als pädagogische Fachkräfte gefordert, unsere tägliche Arbeit auf wissenschaftlich fundierten Konzepten aufzubauen. Seit einigen Jahren arbeiten wir nun eng mit SyNA (Systemisches Institut für Neue Autorität) zusammen, um das Konzept der Neuen Autorität auf allen Ebenen in unserer Einrichtung zu implementieren. Weiterhin arbeiten wir mit externen Supervisoren (Klaus Weth und Anne Herzog) zusammen, die uns dabei unterstützen unser pädagogisches Konzept der Neuen Autorität mit Inhalten aus der Traumpädagogik und der Emotionsregulation zu bereichern. Um in der alltäglichen pädagogischen Arbeit gewisse Haltungs- und Handlungsaspekte der drei pädagogischen Säulen immer „griffbereit“ dabei zu haben, arbeiten wir mit einem handlichen „Waben-Set“. Dieses unterstützt uns dabei, die Ziele und nächsten Schritte unseres pädagogischen Handels effizient und nachhaltig zu bestimmen. Beispielhaft erläutern wir nachfolgend einen Teil unserer Haltungs- und Handlungsaspekte. Doch zunächst wollen wir kurz den Unterschied zwischen „traditioneller“ und „neuer“ Autorität aufzeigen.
Nähe durch Präsenz
Der Entschluss zu Transparenz und Öffentlichkeit verleiht der Neuen Autorität in vielen Bereichen große Vorteile. Eine transparente Vorgehensweise im Alltag und in Krisensituationen schafft eine starke Vernetzung und ein beständiges Bündnis. Im Konzept der Neuen Autorität wird darauf geachtet, dass die beteiligten Personen wohlwollend und beziehungsfördernd auf die Geschehnisse einwirken. Diese sind Zeugen der Veränderung und der guten Absichten.
Die Bekanntmachung und die Legitimation des eigenen Handels stärkt das Vorgehen der Erziehungsverantwortlichen in Krisenzeiten.
Die Wachsame Sorge ist ein Modell, das beschreibt, wie wir uns, als Erziehungsverantwortliche, verantwortungsbewusst und in Erfüllung der uns übertragenen elterlichen Pflichten am Leben der Kinder und Jugendlichen beteiligen können. Die wachsame Sorge beinhaltet verschiedene Grade pädagogischen Eingreifens und Handelns: die offene Aufmerksamkeit, die fokussierte Aufmerksamkeit und einseitige (Schutz-) Maßnahmen. Die wachsame Sorge dient nicht der Kontrolle oder Überwachung. Vielmehr versuchen wir durch offene Gespräche, gezielte fokussierte Fragen oder erhöhte Präsenz, Wachsamkeit und ggf. Maßnahmen unsererseits die Eigenverantwortlichkeit der Kinder und Jugendlichen zu unterstützen.
Gerade, wenn wir schwierige Phasen mit den Kindern und Jugendlichen durchleben, trennen wir klar Verhalten und Person. Wir entscheiden uns, dem Kind trotz alledem Lob, Würdigung und Aufmerksamkeit zu geben, um zu zeigen, dass unsere Beziehung stärker und unabhängig vom Verhalten des Kindes/Jugendlichen ist.
Wir vertreten die klare Haltung: Wer Schaden anrichtet, muss diesen auch wieder beheben. Der Wiedergutmachungsprozess wird von uns angestoßen und unterstützt. Die Wiedergutmachung dient nicht nur der Schadensbehebung, sondern auch der Wiederherstellung des Ansehens des Schadensverursachers. Es geht nicht um Erniedrigung des Kindes/Jugendlichen, sondern um die Stärkung seiner Kompetenzen, Verantwortung für sein Tun zu übernehmen, Selbstwirksamkeit zu erleben und einem Gesichtsverlust vorzubeugen.
Als gute Vorbilder gehen wir voraus und entschuldigen uns auch als Erwachsene, wenn wir Fehler gemacht haben oder evtl. wenig achtsam mit den Gefühlen und Bedürfnissen unseres Gegenübers umgingen.
Selbstkontrolle und Deeskalation beschreiben die Kunst, sich in herausfordernden Erziehungssituationen nicht reizen und hineinziehen zu lassen, um Eskalationen zu vermeiden. Stattdessen gewähren wir uns Aufschub, verzögern unsere Reaktionen, achten auf uns selbst und kommen zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurück. Wir bleiben beharrlich an einer konstruktiven Lösungsfindung mit dem Kind/Jugendlichen, ohne auf einen Sieg bedacht zu sein.
Um Hilfe/Unterstützung bitten, ist für uns KEIN Eingeständnis von Schwäche – im Gegenteil! In schwierigen Situationen ist es kaum möglich, alleine zu einer guten Lösung zu kommen. Durch die Schaffung von Unterstützungsnetzwerken schaffen wir erweiterte Möglichkeits- und Handlungsräume, die wiederum unsere Präsenz stärken, Selbstkontrolle unterstützen und Widerstand zu größerer Breite führen. Es gibt sowohl Unterstützer für die Erziehungsverantwortlichen, als auch für die Kinder und Jugendlichen. Unterstützer können unterschiedliche Rollen einnehmen, z. B. Tröster, Ermutiger, Zeugen, Vermittler, Mediatoren, Supervisoren, Anbieter von Auszeiten usw.
Netzwerk- und Unterstützungspartner sind für uns z. B. Familienmitglieder, Freunde/innen der Kinder/Jugendlichen, Lehrer/innen, Kinder und Jugendliche anderer Gruppen, Mitarbeiter/innen anderer Gruppen usw.
Protest beginnt für uns dort, wo wir den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen vermitteln, was angemessen ist oder nicht. Als „Gegenüber“ leben wir eine positive Haltung der führenden Anleitung und Kommunikation und bieten den Kindern und Jugendlichen dadurch Orientierung an. Widerstand leisten wir gegenüber destruktivem Verhalten. Um unseren Widerstand auszudrücken, bedienen wir uns unterschiedlicher Formen, z. B. Telefonketten, Nachgehen und Aufsuchen, Ankündigung oder Sit-In. Durch klare Botschaften und Beharrlichkeit setzen wir so auf eine förderliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.
Die Präsenz bildet das Kernstück, die Quelle der Neuen Autorität. Als Erziehungsverantwortliche fühlen wir uns dann handlungsfähig, wenn wir uns in unserer Präsenz stark erleben. Die Verhaltensweisen anderer wirken sich auf unsere eigenen Handlungsmöglichkeiten aus und können demnach unsere Präsenz auch schwächen. Präsenz kann in 6 Dimensionen beschrieben werden: physisch (körperliche und geistige Anwesenheit), pragmatisch (Erleben eigener Handlungskompetenz), internal (Erleben von Selbstkontrolle), emotional-moralisch (Wahrnehmung eigner Handlungsüberzeugungen), intentional (Verbindung und Kontakt herstellen) und systemisch (Wahrnehmung und Nutzung von Unterstützung, Vernetzung). Diese Dimensionen reflektieren wir für uns und gemeinsam. Im pädagogischen Alltag zeigen wir Präsenz vor allem über die gelebten Grundhaltungen: Ich bin da! Ich bleibe da, auch wenn es schwierig wird! Ich bleibe nicht allein!